Sophia Aschenberg
Aus den amtlichen Dokumenten geht hervor, dass Sophia Aschenberg 1866 in Oelde geboren wurde, unverheiratet war und in der Lindenstraße ein kleines Lädchen betrieb.
Ausgerechnet diese harmlose, allseits geschätzte Frau wurde 1935 zur Zielscheibe der in Nürnberg erscheinenden antisemitischen Wochenzeitung "Der Stürmer". Der Verfasser ist unbekannt. Aufgrund der Detailkenntnisse ist anzunehmen, dass entweder ein einheimischer Nazi den Text zu Papier brachte oder aber Informationen an die Redaktion des Stürmers lieferte.
Angesichts der zunehmenden Anfeindungen wählte Sophia Aschenberg schließlich den Freitod.
Artikel "Stimmungsbild aus Oelde" transkribiert
Artikel aus „Der Stürmer“ im März 1935
Stimmungsbild aus Oelde
Oelde in Westfalen ist auch heute noch ein Judenparadies. Hunderte von artvergessenen Volksgenossen tragen ihr Geld zu den Fremdrassigen. Die deutschen Geschäftsleute aber ringen schwer um ihr Dasein. Nun hat aber auch bei uns der „Stürmer“ seinen Einzug gehalten. Er wird regelmäßig im Fenster der Geschäftsstelle des Sturmbannes 11/22 ausgehängt. Hier kann man alle acht Tage ein interessantes Bild beobachten. Jedesmal wenn ein neuer „Stürmer“ angeschlagen worden ist, schleicht sich sie rothaarige Jüdin Sophie Ascheberg heran. Bedächtig liest sie Zeile um Zeile. Zum Schlusse aber bricht sie in ein Jammergeschrei aus: „O Hääär, o Häär! Wat geit es uns armen menschen Schlääächt!“ Dann watschelt sie von dannen. Um ihren Mund aber spielt ein Lächeln, ein teuflisches Lächeln. Jeder, der dies Lächeln sieht, weiß es zu deuten. Es sagt: „Ihr könnt machen, was ihr wollt! Uns Juden kommt ihr doch nicht bei!“
Die Ascheberg hat allen Grund zum Lachen! Die Oelder Juden machen ja noch die besten Geschäfte! Wenn Ihr Oelder Volksgenossen nicht nur den „Stürmer“ lest, sondern darüber hinaus seine stetigen Mahnungen befolgt, dann werdet ihr sehen, wie schnell der ganzen Judenmeute das Lachen vergeht.
Info: Sturmbann nannte man die Einheiten von SA und SS
Sophia Aschenberg stellte das Ziel eines Angriffs dar, der sich an die Oelder Bürgerinnen und Bürger richtete, die sich nicht regimekonform verhielten und weiterhin bei Juden einkauften. Sie sah sich in den nachfolgenden Jahren zunehmend Anfeindungen ausgesetzt.
Besonders schockierend hat die Pogromnacht auf sie gewirkt. Den diskriminierenden Erlassen der Nazis folgend nahm sie Ende 1938 den Namen "Sara" an. Am 13. Januar 1939, nur wenige Wochen später, nahm sie sich Leben.
Ein Bild von Sophia Aschenberg konnte trotz Recherche leider nicht gefunden werden.
Zeitzeuge Hans Osthues berichtet
Ich wohnte mit meinen Großeltern in der Geiststraße. Meine Großeltern, Sofi und Heinrich Benteler, wohnten auf der Lindenstraße und betrieben dort ein Lebensmittelgeschäft und eine Schankwirtschaft. Sie lebten in unmittelbarer Nachbarschaft von Sophia Aschenberg, auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Deren verstorbener Mann war Schlachter und versorgte die Oelder Juden mit koscherem Fleisch. Nach seinem Tod betrieb Frau Aschenberg seinen Handel weiter und kam so in Oelde viel zu den jüdischen Familien.
Sie verkehrte häufig, fast täglich, im Haus meiner Großeltern und hatte ein sehr gutes nachbarschaftliches Verhältnis zu ihnen, besonders vertraut war sie mit meinem Großvater. Da ich mich in dieser Zeit häufig bei meinen Großeltern aufhielt, habe ich viele ihrer Erzählungen mitbekommen. Ich erinnere mich an Spaziergänge bis hin zu Grönings Hof.
Bei schlechtem Wetter hielten wie uns häufiger in der Gaststube auf. Oft kam sie aber auch in das Lebensmittelgeschäft, um ihre Fleischwaren gegen andere Lebensmittel zu tauschen. Ab 1936 wurde Sophia immer unruhiger und vorsichtiger. Ihr Zustand verschlimmerte sich zusehends, da der Druck, den die Nazis ausübten, immer größer wurde. Sie erzählte meinem Großvater, dass nachts immer wieder an ihre Fensterläden geschlagen wurde und Stimmen brüllten: „Juden raus!“ Das wiederholte sich Nacht für Nacht. Sie konnte ihre Angst kaum noch ertragen und bat meinen Großvater: „Heinrich, hilf mir doch!“ Er aber war selbst so hilflos und konnte nur antworten: „Sophia, wie kann ich dir denn helfen?
Am Morgen nach der Pogromnacht musste ich morgens vor der Schule bei Café Kunze Brötchen holen und sah, dass bei der Familie Hoffmann auf der Langen Straße sämtliche Scheiben zerschlagen waren und das ganze Mobiliar auf der Straße lag. Am Nachmittag fuhr ich mit meinem Freund in die Stadt und sah die grenzenlose Verwüstung und Schäden, die die Nazis angerichtete hatten. In der Synagoge lagen alle Bücher, die Thora und sämtliche sakrale Gegenstände zerstört auf dem Boden. In dieser Zeit besuchte ich nicht mehr so häufig meine Großeltern an der Lindenstraße, da wir zur Saarlandstraße umgezogen waren und ich einen neuen Freundeskreis hatte.Weiter berichtete Herr Osthues:
Als ich dann Mitte Januar 1939 wieder mal zu meinen Großeltern in die Lindenstraße kam, erzählte meine Oma voller Entsetzen und Trauer: „Die Sophia Aschenberg ist tot. Sie hat sich das Leben genommen. "
Sophia Aschenberg wurde nach Aufbruch des Hauses von der Polizei gefunden. Sie hatte in ihrer Not und Verzweiflung den Gashahn aufgedreht. Sie starb am 13. Januar 1939 als Opfer des gnadenlosen Regimes des Nationalsozialismus und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Oelde verscharrt.“(Zeitzeugenbericht aus „Spur der Stolpersteine in Oelde“; herausgegeben vom Ökumenischen Kreis „Wir Christen in Oelde“ – Elisabeth und Peter Lewanschkowski)
Heimliche Beerdigung
Ein ordentliches Begräbnis durften Mitglieder der jüdischen Gemeinde zu jener Zeit nicht mehr erhalten. Öffentliche Beerdigungen waren verboten.
Aus der Erinnerung von Zeitzeugen: "Sie musste bei Nacht und Nebel beerdigt werden. Nachbarsfrauen betteten die Leiche auf einen Handwagen auf Stroh und fuhren zum Friedhof." Es wird angenommen, dass Sophia Aschenberg auf dem jüdischen Friedhofe begraben wurde. Niemand kennt heute die Stelle, es gibt keinen Grabstein. Nach einem Bericht von Lore Israel, geborene Fritzler, wurden mit Sophia Aschenberg zerrissene Thorarollen und Gebetbücher aus der zerstörten Synagoge beerdigt.
Quellennachweis:
"Ausgegrenzt Anerkannt Ausgelöscht"; Walter Tillmann, herausgegeben vom Kreisgeschichtsverein Beckum-Warendorf e.V.; Warendorf 2003
"Oelde, die Stadt in der wir leben", herausgegeben vom Kreisgeschichtsverein Beckum-Warendorf e.V., Oelde 1987
„Spur der Stolpersteine in Oelde“; herausgegeben vom Ökumenischen Kreis „Wir Christen in Oelde“ – Elisabeth und Peter Lewanschkowski