JÜDISCHES LEBEN

12jähriges Mädchen


Zeitzeugin Marietheres Krupp berichtet: 

1938 war ich 12 Jahre alt und ging zur Volksschule in die sechste Klasse. Meine damalige Klassenlehrerin war in der NSDAP. Sie unterrichtete uns auch in Biblischer Geschichte. Während einer Unterrichtsstunde sagte sie einmal, Jesus sei kein Jude, die Juden seien lange in ägyptischer Gefangenschaft gewesen. Auch meinte sie, alle Juden seien dumm. Darauf machte ich den Einspruch, dies könne nicht stimmen, Lore Fritzler, eine jüdische Mitschülerin, sei auf die Töchterschule gegangen. In der Schulbücherei gab es Bücher gegen Juden.

Es ist 70 Jahre her. Vieles hat sich in meiner Erinnerung verwischt. Am Morgen des 10. November ging ich wie immer zur Kirche. Ich weiß nicht mehr, ob etwas Besonderes auf dem Weg dorthin geschah. Nach der Messe ging ich zur Schule. Es war so merkwürdig still, die Menschen gingen eilig an mir vorbei oder standen zu zweit und flüsterten miteinander. Nun kam ich an das Textilgeschäft Weinberg auf der Langen Straße und war sehr erschrocken, aber auch neugierig.

Was war da nur passiert? Überall lagen Glassplitter verstreut, bis weit auf die Straße hinein. Jetzt sah ich die zertrümmerte Schaufensterscheibe und konnte weit in den Raum hineinsehen.

Im Schaufenster, es war in meiner Gesichtshöhe, lag alles durcheinander: Die Scherben, die Stoffe waren mit Tinten übergossen und auseinandergerissen, die Schaufensterpuppen lagen zerbrochen und zermatscht darüber und verbreiteten einen unangenehmen Gestank. Noch heute habe ich diesen Gestank in meiner Nase. Regale und alles Inventar war übereinander gekippt und zerschlagen. Ich ging weiter zur Schule.

Was ich gesehen hatte, beschäftigte mich den ganzen Weg. In der Pause hörte ich, dass die Jungen schulfrei hätten. Später erzählte man, der Lehrer, er war ein Nazi, hätte in der Nacht bei den Gräueltaten geholfen.

Nach Schulschluss ging ich auf dem Heimweg in die Synagoge (Link zum Bild). Da sie in einem Wohnhaus lag, konnte sie nicht verbrannt werden. Durch einen langen Flur, es war mir sehr unheimlich, gelangte ich in den Gebetsraum.

Auch dort lag alles durcheinander, beschriebene Blätter, Gewänder, umgestürzte Kerzenhalter, Stühle, Bretter und vieles mehr. Durch die zerbrochene Fensterscheibe konnte ich nach draußen schauen.

Da ich ein zwölfjähriges Mädchen war, kann ich mich heute nicht mehr daran erinnern, was ich über all diese Ereignisse gedacht habe.   Aber ich habe sie nie ganz vergessen.

 (Zeitzeugenbericht aus „Spur der Stolpersteine in Oelde“; herausgegeben vom Ökumenischen Kreis „Wir Christen in Oelde“ – Elisabeth und Peter Lewanschkowski)



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